15 November 2006

 

Willkommen im neuen Leben

Über eine Million User haben sich bis heute im dreidimensionalen Online-Spiel "Second Life" registriert. Um sich die virtuelle Existenz angenehm einzurichten, kaufen sie dort Grundstücke, Häuser, Kleider und Dienstleistungen. Vieles davon kaufen sie von anderen Usern, die damit reales Geld verdienen können. Einige verdienen so gut, dass jetzt sogar die Finanzbehörden der Realwelt aufmerksam werden.

Die Wachstumsgeschwindigkeit der virtuellen Volkswirtschaft von "Second Life" lässt sogar Boom-Ökonomien wie China oder Indien blass aussehen. Monatlich wachsen Wirtschaft und Einwohnerzahl der Online-Welt um zehn bis 15 Prozent - und diese Neubürger konsumieren Waren und Dienstleistungen, was das Zeug hält. Auf der Website von "Second Life" lässt sich das ablesen: Knapp 450.000 US-Dollar setzen die Spieler aktuell jeden Tag um. Alter der virtuellen Volkswirtschaft: drei Jahre.

Die Mechanik des Spiels ist nicht besonders kompliziert. Wer sich als Spieler registriert, erhält eine einfache elektronische Spielfigur, den Avatar. Diesen kann er dann nach einer kurzen Einweisung (in fünf Minuten lernt der Neubürger laufen, kommunizieren, Objekte greifen sowie - fliegen) durch die Spielwelt mit ihren Städten, Parks, Gebirgen und Meeren steuern. Metaversum und Co: Der US-Autor Neal Stephenson führte den Begriff Metaversum für das dreidimensionale Online-Spielfeld ein. Dem gegenüber steht die Realwelt, aus denen die Besitzer der Spielfiguren - der Avatare - stammen. Schon in Stephensons SciFi-Roman "Snow Crash" (1992) machen die Avatare im Metaversum eigentlich nichts anderes als in der Realwelt: Sie existieren. Wie in "Snow Crash" und im sonstigen Internet plagen übrigens auch bei "Second Life" Viren, Spam und andere Hacker-Aktivitäten die Bewohner. Immer wieder starten Avatare Denial-of-Service-Attacken, indem sie eine Spielfläche mit Kopien ihrer selbst überfluten. Dann ist die neue Welt plötzlich offline.

Das Spielfeld ist erst einmal ein riesiger dreidimensionaler Chatroom, in dem man sein Gegenüber auch sehen kann, als Avatar. Man plaudert mehr oder weniger öffentlich per Instant Messaging, gerne auch mal während man in 200 Metern Höhe über einer Stadt schwebt. Des weiteren ist "Second Life" aber auch eine gigantische Simulation der Welt, in der die User - und nicht die Programmierer des Spiels - jedes Haus, jeden Baum und überhaupt alles, was man sieht und erfährt, vollständig gestaltet haben. Das ist die eigentliche Besonderheit an diesem Spiel. Denn die Veranstalter von "Second Life", die kalifornische IT-Firma Linden Labs, stellen außer Land, Licht, hier und da ein bisschen Dunst am sonst klaren Himmel, einer schwachen Schwerkraft und dem Spielwährungssystem "Linden Dollar" (L$) eigentlich nichts zur Verfügung.

Alles andere wird von den Spielern in einer virtuellen Werkstatt - an einer Art elektronischem Reißbrett - hergestellt. Und genau hier greift das Geschäftsmodell, das etwa ein Viertel der aktiven "Second Life"-Spieler für sich nutzen: Weil die Herstellung von Kleidern, Häusern, Parks, Raketenrucksäcken oder Raumschiffen nämlich viel Kreativität, Zeit und Geschick erfordert, lassen sie sich von anderen dafür bezahlen, dass sie ihnen diese Arbeit abnehmen. "Arbeitsteilung" heißt das in der Volkswirtschaft - und es funktioniert hier offenbar ziemlich gut. Denn das meiste, was einem in "Second Life" an Objekten begegnet, kann mit ein paar Mausklicks erworben werden.

Bezahlt wird durchgehend in L$, die zum an der spiel-eigenen Börse, der "Lindex Currency Exchange" festgelegten Kurs in US-Dollar gekauft - und wieder verkauft - werden können. Die Menge reales Geld, die von einzelnen Spielern monatlich auf oder aus "Second Life"-Konten umgetauscht werden kann, ist allerdings klar begrenzt. Wohl auch, damit der virtuellen Wirtschaft nicht plötzlich der Saft ausgeht. Dieser Einschränkung zum Trotz soll es bereits Tausende Programmierer und Händler in "Second Life" geben, die von ihren Produkten und Geschäften leben können.

Der Avatar Anshe Chung gehört zu den Vorzeigeunternehmerinnen aus "Second Life". Vor zwei Jahren meldete sich ihr "Realmensch" (dessen Identität nicht öffentlich ist, angeblich handelt es sich um eine Chinesisch-Lehrerin) von Frankfurt aus erstmals in der Online-Spielwelt an. Heute beschäftigt Chungs Firma 20 ganz reale Menschen in Deutschland und China, nach eigenen Angaben setzt das Unternehmen jährlich mehrere Millionen US-Dollar um.
Chung ist der größte Immobilien-Makler in "Second Life". Sie kauft von den Betreibern des Spiels virtuelle Grundstücke, die sie zu hübschen Landschaften entwickelt und dann an andere Spieler weiterverkauft oder verpachtet. Im Angebot sind 100 verschiedene Simulationen, darunter japanische, deutsche und karibische Landschaften, auf Wunsch inklusive passendem Haus. 4000 Quadratmeter Land im "Themenland Japan" kosten knapp 20.000 L$. Land in billigeren Gegenden kostet etwa ein Fünftel. Für Häuser kann man sehr viel mehr ausgeben. Allerdings stehen die Behausungen dann auch "schlüsselfertig" in einem Hain oder an einem palmengesäumten Strand.

Andere Geschäftsleute im "Second Life" verkaufen den Avataren Möbel, Autos, Kleidung, Schmuck und alle Arten von Unterhaltung, wie Fallschirmsprünge oder Tauchurlaube. Wie üblich im Web boomt auch der Handel mit allen Arten von Sex-Simulationen – inklusive Erect-Funktion übrigens.

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